Ausgemacht war, dass ich ein halbes Stündchen vorbei komme und wir kurz über die Hosen reden. Geblieben bin ich dann fast den ganzen Nachmittag und Reinhard hat mir seine riesige Bibliothek gezeigt, hat mich wertvolle Künstlerbücher anschauen lassen und mir viel erzählt. Er hat mich in eine ganz eigene Welt entführt und wir haben tatsächlich Gemeinsamkeiten in unseren beiden „Interessensgebieten“ gefunden.
Hier ist also ein Auszug aus dem sehr langen Gespräch mit Reinhard Grüner, 64 Jahre, Besitzer der weltgrößten Sammlung an Künstlerbüchern, darunter Andy Warhol, Robert Mapplethorpe und Roy Lichtenstein. Hauptberuflich ist er Lehrer für Geschichte und Englisch, sowie stellvertretender Schulleiter.
Wie sind sie dazu gekommen diese Kunstbücher zu sammeln? Ist das beruflich oder einfach ein Hobby?
Überhaupt nicht, ich habe 1975/76 in England studiert und war Stipendiat des Deutschen akademischen Austauschdienstes und da sind wir an einem Tag mit einem Freund an die Ostküste gefahren und da gab es so einen kleinen Laden in Whitstaple hieß der Ort, und da hab ich ein kleines Buch gefunden „An dissertation upon roast pig“ also „Abhandlung über das Grillen von Schweinefleisch“. Das war auf wunderbares Papier gedruckt, mit Holzschnitten, Fadenheftung und 30er Auflage glaub ich, und das hat mich so fasziniert, dass ich angefangen habe zu sammeln. Und dann ist es halt immer umfangreicher geworden, dann hab ich erst mal ziemlich willkürlich gesammelt, also alles was mich interessiert hat. Dann ging es weiter mit der Wendezeit, also mit politischen Untergrundpublikationen der zuendegehenden DDR und dann kam kurz danach eben Perestroika und Glasnost. Ich habe durch Zufall einen Russen kennengelernt, einen Galeristen und Kurator, über den habe ich dann jahrelang Bücher bekommen und dann habe ich ein Buch gemacht mit einem russischen Künstler und seitdem bin ich da ziemlich in der Szene drin. Und jetzt sammele ich halt sehr spezielle und bestimmte Dinge.
Sie sagten vorhin, dass Sie Anfragen für Ausstellungen bekommen. Von welcher Seite kommen die, eher aus der Literaturwissenschaft, der Historiker oder der Kunstwissenschaft?
Ganz unterschiedlich. Die Schwierigkeit bei diesen Künstlerbüchern ist ja eigentlich, dass keiner richtig zuständig ist. Also die Kunstwissenschaften tun sich schwer damit, weil es Bücher sind, die mit Texten zu tun haben und die Literaturwissenschaftler haben Probleme, weil eben Bilder mit dabei sind. Und deswegen ist es genau so eine Schnittstelle zwischen den beiden, es gibt meines Wissens nur ganz wenige Wissenschaftler, die sich damit auskennen. Also ich kenne eine Dame, die im Norden oben sitzt, die hat eben Germanistik studiert plus Kunst plus Design, die kann damit umgehen, aber die meisten steigen da irgendwie aus, selbst Fachleute wissen teilweise nicht, was Künstlerbücher sind.
Da haben wir viel gemeinsam, denn ich interessiere mich auch für so einen Zwischenbereich von Design, also Kleidung und den Geschichten dahinter, also Literatur, wenn sie so wollen.
Ja das finde ich ja ganz spannend, dass Sie das sagen, denn mit den Büchern ist es das Gleiche. Das heißt, wenn man jetzt eine Ausstellung macht und da nur ein Buch in die Vitrine legen würde und man nur ein paar kleine Angaben, also welcher Autor, welcher Künstler, welche Bilder, machen würde, ist das endlos langweilig. Und ich hab inzwischen gelernt, dass es sinnvoll ist die Geschichte der Bücher zu erzählen. Das ist teilweise traumhaft, mit jedem Buch hängen Geschichten zusammen. Das sind dann meine Geschichten, wie ich ein Buch bekommen habe, weil ich z.B. einen Künstler angesprochen habe. Wir haben uns kennengelernt und irgendwann fängt der an Künstlerbücher zu machen, also das ist eine Geschichte. Oder die Bücher selbst erzählen die Geschichte, wenn ein Mensch auf dem Sterbebett liegt und sein letztes Buch macht. Die letzten Kataloge, die ich gemacht habe sind alles Kataloge mit Geschichten, das macht es so spannend. Die sind genauso vielfältig, wie das Leben selbst.
Aber zurück zu den Hosen. Warum haben Sie die Hosen eigentlich aussortiert?
Also das ist ein bisschen eine intime Geschichte… Ich bin also kein Freund von Markenklamotten, um nicht zu sagen ich bin ein Feind von Markenklamotten. Ich rümpfe schon immer die Nase, wenn ich Leute seh, die mit diesen bekannten Marken rumlatschen. Ich sag zu meinen Schülern auch immer… wie war das? Lakotz anstatt Lacoste! Also das stört mich wahnsinnig. Ich trage meine Kleider ziemlich lange, also das waren gute Hosen, die ich immer in der Arbeit getragen habe. Aber irgendwann waren sie ziemlich schäbig und dann hingen sie im Schrank. Und dann habe ich mal Zeit gehabt und habe Hosen aussortiert und da habe ich zu meiner Frau gesagt: „Du, die schmeiß ich jetzt alle weg!“ und sie hat gesagt: „Nein, die legen wir vorne vor das Vorderhaus!“ Da hätten wir beinahe einen kleinen Konflikt bekommen, weil ich gesagt habe: „Was soll das, hier im reichen Schwabing, so abgeschabte Hosen vors Haus zu legen? Das ist doch absoluter Blödsinn!“
Und dann hat sie, weil sie natürlich ihren Kopf behalten hat, die Hosen rausgelegt und am nächsten Tag waren 2 von den 3 Hosen weg. Die andere habe ich dann weggeschmissen. Ich habe mir noch gedacht, das ist aber schon komisch, wer die wohl mitgenommen hat? Und ein paar Tage später hing dieser Zettel da und das fand ich dann irgendwie so wahnsinnig schräg und gut. Vor allem auch der Gedanke, dass man Dingen ein zweites Leben gibt. Das ist ja bei uns auch so, wir können also kaum was wegwerfen, ich hab sehr viel Bücher, also alte Bücher, die eigentlich niemanden mehr interessieren. Wir sind laufend auf Flohmärkten und deswegen finde ich das ganz toll, wenn jemand diese alten Sachen nimmt und aus denen was Neues macht, was dann auch noch ziemlich gut aussieht!
Danke!
Ich hatte natürlich so eine bestimmte Vorstellung, ich dachte also die macht irgendwie so Patchwork-Sachen und zerlegt das in kleine Fleckchen und macht dann Patchwork daraus, so was hätte ich mir jetzt vorgestellt. Ich hätte nie daran gedacht, dass das jetzt die Hosen sind, weil das so edel aussieht.
Danke, das ist genau die Idee dahinter, dass man eben die Geschichte weiterschreibt und eben auch der Nachhaltigkeitsgedanke, den Sie ja auch ganz gut finden.
Absolut, das heißt die Hose hatte auch schon ziemlich viele Jahre auf dem Buckel und die sahen auch immer ziemlich gut aus in der Arbeit. Ich bin aber auch nicht jemand, der jedes Jahr die neuesten Designstücke haben muss, das ist mir absolut egal. Ich will sauber angezogen sein, ich geh mit Jacket und Krawatte in die Arbeit, aber es müssen keine Markenklamotten sein.
Wo haben Sie die Hosen gekauft?
Gute Frage, ich gehe eigentlich meistens zum Konen.
Nach welchen Kriterien kaufen Sie ihre Kleidung ein?
Mein erstes Kriterium ist immer, dass ich keine Markenkleidung kaufe, deshalb gehe ich immer zu dieser Konen-Eigenproduktion hin und da kauf ich dann ein. Das sind schöne Sachen, also die geben wohl selbst Sachen in Auftrag und das ist ein bißchen günstiger, als diese asiatischen Markenklamotten.
Auf was achten Sie vom Stil her? Haben Sie eine bestimmte Vorstellung, wie sie aussehen wollen?
Das ist eigentlich ganz spontan. Also wenn ich in die Arbeit gehe, irgendwas seriöses. Ich bin Lehrer und stellvertretender Schulleiter und das müssen einfach Sachen sein, die zusammen passen. Ein schönes Jacket, eine schöne Hose und eine Krawatte dazu und das wars eigentlich. Also nichts Auffallendes.
Sie wollen also durch ihre Kleidung Seriösität ausstrahlen und Autorität wahrscheinlich auch, oder? Und da fühlen Sie sich am sichersten, wenn Sie ein Jacket und eine Anzugshose anhaben?
Ja schon, also ich würde auch ohne Anzugshose Autoriät ausstrahlen, aber es stimmt natürlich schon, dass man eine bestimmte Rolle spielt und die wird durch die Kleidung noch zementiert. Aber bei mir eben, im Gegensatz zu anderen Kollegen nicht durch den letzten modischen Schick. Das ist mir ziemlich egal. Es gibt so Leute, die geben sogar noch Nachhilfestunden, damit sie sich die teuersten Kleider kaufen können, das ist für mich uninteressant. Ich mags lieber, wenn dann was flippig aussieht oder selber gemacht. Wobei, bei ihrer Jacke hätte ich nie gedacht, dass die selbstgemacht ist.
Woher kommt ihre Abneigung gegen Marken?
Ich mag keine Diktate von oben, also jemand der mir sagt, du musst das und das kaufen, damit du in einer bestimmten Gruppe drin bist. Und ich will mich einfach nicht darüber definieren, dass ich zum Beispiel Hugo Boss trage. Aber für viele Leute ist das sehr wichtig, die haben so wenig Persönlichkeit, dass sie so Markensachen tragen müssen, um eine zu bekommen. Das ist bei mir aber ganz weit weg, ich definiere mich durch andere Sachen. Ich bin bei Leuten, die mich nicht kennen, ziemlich unscheinbar, glaube ich, und erst durch die Gespräche entsteht dann etwas. So das Pompöse und Edle ist nicht so meins. Da gibt es in den 5-Höfen so einen japanischen Laden Muji, da ist nirgendwo ein Label dran und trotzdem weiß jeder, dass das von Muji ist. Sehr reduziert alles und sowas mag ich dann schon. Ich würde auch mehr Geld ausgeben für Kleidung, die nicht von großen Marken hergestellt wird. Ich habe einfach keine Lust auf dieses Marken- und Modediktat.
Also Understatement ist Ihnen sehr wichtig und Sie wollen mit Ihrer Kleidung keine Aussage nach außen machen?
Ganz genau.
Wer bis hierher gelesen hat und sich für die nächste Ausstellung von Künstlerbüchern aus Reinhards Sammlung interessiert, der kann sie sich im Kulturformum im Sudetendeutschen Haus Alfred-Kubin-Galerie ab dem 15.04. bis 29.05. unter dem Titel „Erinnerungen – Memories – Vzpomínky“ ansehen. Mehr Info hier: http://www.buchkunst.info
Und hier noch ein paar Fotos der Jacke:
Die Idee deines Blogs ist großartig! Ich freue mich auf weitere Artikel.
(Die „weiteren Fotos der Jacke“ kann ich leider nicht aufrufen – File not found)
Liebe Grüße
Nicole
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Liebe Nicole,
vielen Dank für dein Kompliment, da freue ich mich sehr darüber! Und…du bist die Erste, die hier kommentiert, juhuuu! Um die Fotos kümmere ich mich und hoffe, dass es gleich wieder funktioniert.
Liebe Grüße, Alex
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